Santo subito, so forderte die vom charismatischen Antlitz dieses Papstes begeisterte Menge. Dass es sich in Wirklichkeit um einen der größten Blender der Kirchengeschichte handelt, der unter Nutzung aller PR-Mittel, sich ein Bild in der Presse aufbaute, dass diese selbst im Nachgang nicht mehr antasten konnte und wollte, ergibt sich, wenn man sein Handeln einmal näher unter die Lupe nimmt.
In seinem politischen Handeln war Johannes Paul II in erster Linie Antikommunist, dann polnischer Nationalchrist. Sein Evangelisierungswerk bestand nur in einem: der Zerstörung des Kommunismus. Und dafür war er bereit fast jeden Preis zu zahlen. Und selbstverständlich kam das zum richtigen weltpolitischen Zeitpunkt und fand die Unterstützung der Weltmacht Amerika. Sicher: er hat zum Mauerfall und zum Ende des eisernen Vorhangs erheblich beigetragen. Aber macht ihn das schon zu einem Heiligen? Wohl kaum. Es handelt sich um reine Machtpolitik.
Sein Ziel der Zerstörung des Kommunismus als das „Werk des Teufels“ schlechthin erreichte er, wie sich heute zeigt, mit der vollständigen Zerstörung kirchlicher Glaubwürdigkeit und dem Ausbau von Unwahrhaftigkeit, Heuchelei und Doppelmoral. Er hat der Botschaft des Evangeliums schwer geschadet und das Werk Jesu Christi mit Füßen getreten. Darüber können auch etliche wohlfeile Enzykliken nicht hinweg täuschen.
Das zerstörerische Werk beginnt bereits 1979 nach der lateinamerikanischen Bischofskonferenz von Puebla. Er holt sich einen wahrhaften Großinquisitor an Bord seiner Mannschaft: Joseph Ratzinger. Dieser beginnt mit dem Glaubenskampf gegen die lateinamerikanische Befreiungstheologie. Dabei werden die lateinamerikanischen Theologen scharf gemaßregelt und die Bischöfe auf Linie gebracht. Die zweite Säule ist die vatikanische Diplomatie unter dem zweiten zentralen Mitarbeiter des Papstes: Angelo Sodano. Die Nuntiaturen sind zuständig dafür bei Abdankung von Bischöfen oder durch scharfe rechtliche Mittel, den (lateinamerikanischen)Klerus mit entsprechend antikommunistischen und konservativen Bischöfen zu besetzen und umzugestalten. Es wird explizit gegen Bischöfe vorgegangen, die eine demokratische Umgestaltung lateinamerikanischer Gesellschaften unterstützen und die Befreiungstheologie und befreiende Inkulturation in die Praxis umsetzen. Ich möchte hier ein konkretes Beispiel anführen, dass ich unmittelbar selbst erlebt habe:
Von 1990 bis 1993 war ich in einer großen Landpfarrei gemeinsam mit drei weiteren Kapuzinern im Hochland von Oaxaca in Mexiko als Priester tätig. Erzbischof von Oaxaca war zu diesem Zeitpunkt Don Bartolomé Carrasco Briseño. Dennoch hatte man ihm bereits 1988 ein Koajutorerzbischof zugeordnet. Don Bartolomé war der führende theologische Kopf der südmexikanischen Bischöfe. Er hatte in seiner Diözese eine befreiende und inkulturierende Pastoral für die 75% indigener Bevölkerung seines Bistumsaufgebaut. Ein Mann von gelebter evangelischer Armut und großer Nähe zu den Menschen seines Bistums. Es wurden regelmäßig Diözesanversammlungen unter Beteilung aller an den pastoralen Aktivitäten beteiligten Priester und Laienabgehalten. Don Bartolomé kannte die Notwendigkeiten und Schwierigkeiten der Menschen seines Bistums ganz genau.
Außerdem hatte er maßgeblich dazu beigetragen, dass die zur Kirchenprovinz von Oaxaca gehörenden Bistümer ein gemeinsames Seminar im Bistum Tehuacán unterhielten mit einer fortschrittlichen an den pastoralen Gegebenheiten orientierten Seminarausbildung. Anders als vor dem Konzil sollten die zukünftigen Priester als Diener des Gottesvolkes mit einer den Menschen befreienden Spiritualität und Theologie ausgebildet werden. Auch die Professoren des Seminars vereinten die besten theologischen Kräfte der Bistümer der Kirchenprovinz. Dann kam es im Zuge eines Ad limina Besuches in Rom dazu, dass Don Bartolomé zu den Schwierigkeiten bei der Disziplin seines Klerus Stellung nehmen musste. Er wusste und musste zugeben, dass etwa 75 % seiner ca. 150 Priester den Zölibat nicht so genau nahmen. Dagegen konnte er ohne härteste Maßnahmen nichts unternehmen und wollte es auch nicht. Dies war der Grund, ihm seitens Rom Unfähigkeit in der Führung seiner Diözese vorzuwerfen. Es wurde ihm zwangsweise ein Koadjutor zur Seite gestellt. Damit verlor er zwar nicht die pastorale Leitung, jedoch die Entscheidungsgewalt über den Klerus. Es kam ein Bischof mit Herkunft aus dem Norden Mexikos aus dem Bistum Durango. Don Hector Gonzalez. Ein Mann ohne jegliche Sensibilität für die kulturelle indigene Vielfalt Oaxacas. Für ihn war der Kampf gegen Abtreibung wichtiger als Armut der Menschen seines Bistums. Lieber spielte er mit dem Gouverneur des Staates Oaxaca Tennis als sich wirklich auf das Volk Gottes einzulassen. Ein bischöflicher Potentat von denen es viele in Mexiko gab und gibt. – Aber sicher ein strammer Antikommunist und Gegner der Befreiungstheologie, eingesetzt von Rom durch den Apostolischen Delegaten Jeronimo Prigione.
Zuvor schon, 1985, war der spätere Erzbischof und Kardinal von Mexiko-Stadt Don Norberto Rivera Bischof von Tehuacán geworden. Auch er stammte aus Durango. Seine erste wichtige Maßnahme war die Schließung des gemeinsamen Seminars der Kirchenprovinz nach einer zuvor erfolgten Untersuchung durch vatikanische Abgesandte. Die alte Seminardisziplin sollte wiederhergestellt, die Seminaristen zu priesterlichen, auserwählten Hierarchen mit vorkonziliarer Mentalität und scholastischer Theologie erzogen werden. Die Seminaristen leisteten Widerstand, demonstrierten und probten den Aufstand. Viele flogen raus oder mussten erneut ihre Aufnahme ins Seminar beantragen, auch wenn sie schon am Ende ihres Studiums standen. Für diesen großartigen Verdienst wurde der Günstling des apostolischen Delegaten direkt von kleinen Bistum Tehuacán zum Erzbischof von Mexiko-Stadt. Don Norberto war auch einer der unverbrüchlichen Unterstützer von Marcial Maciel dem Gründer der Legionäre Christi und einem der schlimmsten Missbrauchstäter. In Oaxaca musste übrigens auch ein neues Seminar außerhalb der Stadt gebaut werden. Das wurde dann von Adveniat finanziert. Spenden deutscher Katholiken für vatikanische Kirchenpolitik.
Dies ist nur ein konkreter Fall von denen es mit Sicherheit noch etliche andere gab, aber typisch für das Vorgehen Roms unter Johannes Paul II.
Kommen wir jetzt zu den unappetitlichen Aspekten der „päpstlichen Regentschaft“ JP II. Dazu gehört die Ernennung von Verbrechern in höchste Ämter und die Begünstigung von Missbrauchstätern.
Der eklatanteste Fall: die Unterstützung von Marcial Maciel trotz Kenntnis seiner vielfachen, schweren Missbrauchstaten. Johannes Paul II. stellte dieses perverse Monster seiner Kirche als spirituelles Beispiel vor. Er feierte mit ihm, trotz bereits bestehender Kenntnis der Missbrauchsfälle das 60-jähriges Priesterjubiläum.
Die weiteren Fälle:
Diese Fälle sind im wahrsten Sinne des Wortes nur die Spitze des Eisberges, d.h. sie beziehen sich nur auf absolute Spitzenämter und -vertreter. In jedem Fall muss man mit Bezug auf Johannes Paul II. das Wort vom Heiligenschein wahrlich in heiligen Schein umwandeln. Es ist nicht verwunderlich, dass absolute Macht in welcher Form auch immer korrumpiert. Solange der Jurisdiktionprimat des römischen Bischofs und seine absolute Regentschaft über die Kirche nicht abgeschafft wird, bleibt dies weiterhin außer Kontrolle.
[1] Vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/katholische-kirche-missbrauch-meisner-woelki-koeln-1.5242219
[2] Vgl. http://www.vatican.va/resources/resources_rapporto-card-mccarrick_20201110_en.pdf;Seite 5