Der Weg zur Dispens

Erfahrungen mit der Dispens

11 ½ Jahre warte ich auf ein Zeichen aus Rom - Brief eines holländischen verheirateten Ordenspriesters an den Generalkonsult seines Ordens in Rom vom 4.10.1994

"Wunder gibt es immer wieder!", das sagen eigentlich alle Leute.

11 ½ Jahre wartete ich und wartete ich, ohne irgend ein Zeichen zu erhalten, und sei es auch nur eine einfache negative oder positive Antwort auf meine Bitte, mich von den mit dem Priestertum übernommenen Aufgaben und Verpflichtungen freizustellen. Mit Menschen in einer solchen Weise umzugehen, das nennt man in unserem Land - und wohl in der ganzen zivilisierten Welt - unsittlich, unsozial, unmenschlich und ganz gewiss: unchristlich.

Ich erhebe meinen Vorwurf nicht so sehr gegen Sie, den Generalkonsult meines Ordens - obwohl auch der Generalkonsult mir nie eine Information über den Fortgang meiner Anfrage gegeben hat - und auch nicht in erster Linie gegen die holländischen Kamillianer, sondern vielmehr gegen jene höheren Kleriker im Vatikan, die mit derlei Anfragen zu tun haben und die Bittsteller nicht als wirkliche, lebendige menschliche Wesen behandeln, auch wenn diese die besten Jahre ihres Lebens im Dienst in und an der Kirche gegeben haben.

Aber lasst uns den Herrn preisen; scheint es doch, dass selbst der Höhere Klerus sich zu Menschlichkeit und christlicher Versöhnung bekehren kann - erhielt ich doch nach 11 ½ Jahren Schweigens ein Schreiben, dass "es leichter zu sein scheine", dass "vielleicht" und "eventuell" Rom geneigt sei, mein altes Gesuch erneut in Augenschein zu nehmen.

ABER DIE ZEITEN HABEN SICH VERÄNDERT!

1983 bat ich demütig um Dispens und beantwortete aufrichtig eine Vielzahl von Fragen, auch die, welche jedes Recht auf eine Privatsphäre verletzten. Heute, 11 Jahre später, brenne ich nicht mehr so sehr darauf, noch dazu unter unannehmbaren Bedingungen, Dispens zu erhalten. Die Kirche hat mich genug beleidigt und meinen guten Namen befleckt. Ich erlaube fremden Menschen - und seien sie Mitglieder einer bestimmten vatikanischen Kongregation - nicht mehr, Gefühle und Empfindungen von vor 9, 10 oder 11 Jahren wieder hervorzuziehen. Ich führe heute ein friedvolles Leben, lebe und arbeite, sogar im pastoralen Bereich, so wie ich es für recht halte.

Daher, liebe Mitglieder des Generalkonsults, muss ich heute erst nachsehen, ob es das inzwischen noch wert ist, JA zu meinem Gesuch um Dispens zu sagen.

Sehr unterschiedliche Fragen müssen dazu zunächst genau abgeklärt und beantwortet werden:

1. Warum erscheint es plötzlich leichter, Dispensierungen zu erhalten?

2. Wieso wechselten die VIP's im Vatikan ihre Ansicht?

3. Unter welchen Bedingungen werden Dispensierungen heute ausgesprochen (insbesondere hinsichtlich seelsorglicher Arbeit)?

4. Wieso soll ich erneut Fragen über meine Heirat, leben, Kinder oder meine Beziehung zur Kirche beantworten?

5. Schließlich: ist es möglich, mein Gesuch im Rahmen der üblichen privaten und persönlichen Kontaktaufnahme zu behandeln, was gemeinhin der Kirche sehr schwer zu fallen scheint?

Sehr geehrte Mitglieder des Generalkonsults, bitte beantworten Sie mir die vorstehenden Fragen schriftlich, damit ich bedenken und entscheiden kann, ob ich noch immer ein Interesse besitze, um Dispens von der Zölibatsverpflichtung einzukommen und unter welchen Bedingungen ich das tun soll.

Mit freundlichen Grüßen N.N., Kath. Priester

(Übersetzung aus dem Englischen: J. Ulbricht)

Dispens entlarvt sich als Gewaltakt

Wenn der Text des römischen Dispens-Dekrets auch seit 1980, als die neuen strengen Normen von Johannes Paul II. eingeführt wurden, bekannt ist, dürfte es doch verwundern, dass noch immer derselbe Text angewandt wird. Manch dispensierter Priester, der ihn nur auf Latein erhält, wird vielleicht für die Übersetzung dankbar sein.

Das Dekret enthüllt eine panische Angst vor dem Image-Verlust des zölibatär konzipierten Priesters. Das Bild einer geschlossenen ehelosen Priesterschaft soll unter allen Umständen gewahrt bleiben. Der dispensierte Priester soll möglichst unauffällig heiraten (das Sakrament der Ehe möchte man am liebsten schamhaft verstecken), er soll sich an den Orten seines (zölibatären) Wirkens nicht blicken lassen, er soll nur ja keine Theologen unterrichten, denn dann könnte er ja die zukünftigen Theologen mit seiner Liebe zur Ehe und seinem Zweifel am Zölibat anstecken. Nicht einmal die Kommunion austeilen darf er, denn dann würde man ihn ja noch in der Nähe des Altares und Tabernakels sehen, wo er nun nicht mehr hingehört. Allenfalls darf er, wenn das kein Ärgernis gibt, in der Schule Religionsunterricht erteilen, aber nur, wenn der Bischof das entscheidet.

Mit all dem unterläuft die römische Behörde die dogmatische Wahrheit von der Unverlierbarkeit der priesterlichen Aufgaben und Befähigungen. Widerstrebend wird auf die Vollmachten und Pflichten im Todesfalle hingewiesen; wie soll aber ein Gläubiger wissen, dass er sich an den dispensierten Priester wenden kann, wenn nicht einmal sein Aufenthaltsort, geschweige denn sein Staus als Priester bekannt gemacht werden darf? Ganz abgesehen davon, dass die katholischen Ostkirchen-Priester hierdurch ebenfalls diskriminiert und als Priester zweiter Klasse eingestuft werden, und daß ein Gläubiger sich nach dem Codex an einen orthodoxen Priester zur Kommunionspendung wenden darf (can. 844,2 CIC), an einen dispensierten katholischen aber nicht. Die Absurditäten werden angesichts des Priestermangels und der ökumenischen Beziehungen immer größer.

Am Anfang offenbart sich das Reskript als ein Gewaltakt - und nicht als ein Gnadenakt, wenn es die Trennung von Dispens und Verlust des klerikalen Standes verbietet. Damit gibt die Kongregation zu, dass die meisten Priester gerne das eine ohne das andere hätten: Das priesterliche Engagement möchten die meisten Priester, die um Dispens bitten, aufrechterhalten. Die Kirchenleitung verbietet es ihnen. Ob sie das vor ihrem Richter, der gesagt hat: "Löschet den Geist nicht aus", verantworten können, mögen sie selbst entscheiden.

Heinz-Jürgen Vogels